Philipp Franz von Siebold (1796-1866), der „Japanentdecker“ aus Würzburg

Wer als wißbegieriger Leser Anfang des 19. Jahrhunderts im vierbändigen Conversations-Lexikon der neuesten Zeit und Literatur, bei F.A. Brockaus in Leipzig zwischen 1832 und 1834 erschienen, nach Japan suchte, wurde enttäuscht: es gab keinen Eintrag über das Land. Kein Wunder, verschloss sich Japan doch selbst seit Anfang des 17. Jahrhunderts möglichst jedem Verkehr mit dem Ausland.

Natürlich gab es trotzdem bereits Literatur über das fernöstliche Land, verfasst von Holländern und Angehörigen anderer europäischer Nationen, die für einige Jahre in der holländischen Faktorei in Nagasaki leben durften. Oft hatten sie auch kleinere Sammlungen von ihrem Aufenthalt mitgebracht, die Aufsehen erregten. Aber der Nachhall dieser Ereignisse in Deutschland war sehr schwach, zu sehr standen zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Frage der politischen Entwicklung und die unklaren Ziele im Vordergrund, wie Deutschland einmal aussehen sollte.

Doch zur Zeit der Veröffentlichung des Lexikons war der Arzt und Naturforscher Philipp Franz von Siebold bereits von einem ersten Aufenthalt in Japan zurückgekehrt und begann, durch seine Publikationen Japan in seinem Heimatland bekannt zu machen. Drei große Werke hat er unter großen Kosten und Mühen veröffentlicht, weshalb die Bezeichnung „Japanentdecker“ (im 19. Jahrhundert) gerechtfertigt ist.

Kreidezeichnung des jungen Siebold von Johann Joseph Schmeller, gefertigt 1835 in Weimar.
Bildnachweis: Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen

Auch er war als „Holländer“ (mit einem holländischem Paß) 1823 in Japan gelandet, obwohl er waschechter Würzburger war und nur durch einen Zufall an den Auftrag gelangte, das unbekannte Land so weit wie möglich als Naturforscher zu beschreiben. Das war eine schwierige Aufgabe, da gerade das Erforschen Japans von den japanischen Behörden untersagt war, und jedes Außerlandbringen von Material strengstens geahndet wurde.

Wie jeder seiner Vorgänger hat Siebold genau das getan, und wurde – als das 1828 bei seiner geplanten Ausreise aufkam – nach einem Prozess Ende 1829 auf Lebenszeit aus Japan ausgewiesen. Die nächsten Jahre nach seiner Rückkehr war er mit seinen Werken beschäftigt und der unermüdlichen Werbung in den europäischen Ländern, Japan als möglichen Partner in Betracht zu ziehen.

Manche seiner Vorschläge wurden tatsächlich verwirklicht, aber erst Jahre später nach seinem Tod 1866 in München. Da plante er gerade, dem bayrischen Staat seine Japansammlung von der zweiten Reise anzubieten, denn nach der Öffnung Japans für außenpolitische und Wirtschaftsbeziehungen mit dem westlichen Ausland durch den amerikanischen Commodore Matthew C. Perry 1853 und dem folgenden ersten außenpolitischen Vertrag Japans 1854 durfte Siebold wieder nach Japan einreisen.

Er war dabei nicht allein, sein Sohn Alexander (1846-1911) begleitete ihn, der in Japan blieb und später als Berater und Diplomat in japanischen Diensten viele Ideen seines Vaters umsetzen konnte.

Siebolds Sammlung wurde tatsächlich von Bayern angekauft, aber erst Jahre nach seinem Tod. Sie ist heute im Museum Fünf Kontinente (früher: Völkerkundemuseum) in München untergebracht.

In München hatte er auch den Handel mit Japan angeregt. Aber Bayern hatte kaum Außenhandel, da es erst nach dem Bau des Suez-Kanals (1869) und der Verkürzung des Seewegs am Fernen Osten interessiert war. Auch politisch konnte das Königreich nur wenig bewirken, weshalb das Repräsentieren gegenüber Japan die Familie von Siebold übernahm. Siebolds Tochter empfing in ihrem Schloß in Erbach bei Ulm (umgeben von einem japanischen Garten) japanische Studenten oder auch mal den japanischen Ministerpräsidenten in Begleitung ihres Bruders Alexander.

Siebolds Grab befindet sich heute auf dem Alten Südlichen Friedhof in München. Noch im 19. Jahrhundert wurde es häufig von den japanischen Studenten aufgesucht, die nach der Öffnung Japans 1868 gerne nach München kamen, um hier zu studieren oder zu promovieren. Dank Siebold, von dem langsam bekannt wurde, dass er gar kein Holländer, sondern Deutscher war, wurde Deutschland in Japan prominent und gewann für die Entwicklung des Landes, vor allem in der Medizin, eine große Bedeutung.

Während also in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts japanische Studenten der Medizin und der Rechtswissenschaft an deutschen Universitäten wie Berlin, Würzburg und München ihre Doktorarbeiten in deutscher Sprache schrieben und japanische Germanisten die deutschen Klassiker übersetzten und kommentierten, verharrte das deutsche Kaiserreich in Unwissen und weitgehend fehlendem Interesse. Erst 1887 wurde in Berlin ein Seminar für Orientalische Sprachen gegründet, auch für Japanisch, wobei koloniale Interessen mitspielten, und 1914 gab es die erste Professur für Japanisch, bezeichnenderweise am Hamburgischen Kolonialinstitut. Karl Florenz (1865-1939), der erste Professor für Japanisch, erschloß vor allem das alte klassische Japan und seine Literatur, ließ sich aber auch später zu einer Lobrede auf Hitler hinreißen. Langsam entdeckten deutsche Ästheten und Schriftsteller jetzt Japan – wenn auch viel später als in Frankreich – . 1901 stieß ein junger Musikstudent mit Namen Carl Orff auf das altjapanische Drama Terakoya und komponierte im Stil eines Kabukistücks den Einakter Das Opfer, der erst vor wenigen Jahren wiederentdeckt wurde.

Auch japanische Politiker hielten sich gerne an Deutschland. Nicht nur, weil das deutsche Kaiserreich konservativ war, beide Länder waren politische Spätentwickler und mussten sich ihren Platz unter den Nationalstaaten noch sichern.

Das genau war Siebolds Gedanke gewesen, dass es nicht unbedingt europäische Erzeugnisse seien, die Japan brauchte, da es selbst alles Nötige produzieren könne. Siebold wünschte sich vor allem enge wissenschaftliche Verbindungen zwischen den beiden Ländern, denn er selbst hatte das hohe wissenschaftliche Interesse von Japanern an fremdem Wissen kennengelernt und immer sehr geschätzt. Von der großen Erfahrung und der Gelehrsamkeit seiner japanischen Freunde konnte er selbst immer wieder profitieren und sie bei der Abfassung seiner Werke nutzen. Bereits 1826 wurde er als ausländischer Gast Mitglied in einer Vereinigung japanischer Botaniker, ein Vorbild für die späteren engen Kontakte, die zwischen Japan und Deutschland geknüpft wurden.

Das geschah erst wieder in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, die in dieser Hinsicht an das 19. Jahrhundert anknüpften, denn im Ersten Weltkrieg waren Deutschland und Japan Gegner, und die Nazizeit stellte nur nationalistische Werte in den Vordergrund einer behaupteten Gemeinsamkeit.